Wortherkunft
Das Wort ist zusammengesetzt aus der flektierten Form von leiten (führen, lenken, transportieren, steuern) = „Leit“ – und dem Substantiv „Kultur“.
Ursprünglich stammt der Begriff Leitkultur aus der Landwirtschaft, welcher kultivierten Pflanzensorten bestimmte territoriale Regionen zuordnet.
Der syrisch-deutscher Politikwissenschaftler Bassam Tibi (geb. 04.04.1944) hat 1998 den Begriff in seinem Buch „Europa ohne Identität? Die Krise der multikulturellen Gesellschaft“ im Zusammenhang mit nationalen Wertegemeinschaften verwendet. In der Taschenbuchausgabe von 2000 wurde der Begriff in den Untertitel integriert:„Leitkultur oder Werte-Beliebigkeit“.
Zitat aus Seite 189: „Erster Ausgangspunkt muss die Erkenntnis sein, dass jede wirklich pluralistische Gesellschaft ohne eine Leitkultur nicht auskommen kann“.
Von der später aufkommenden Bezeichnung „Deutsche Leitkultur“ distanzierte er sich, da sie nach seiner Einschätzung gefährlich sei.
Definitionen
- Duden.de (2017): Führende, zentrale Kultur
- Google.de (2017): System gesellschaftlicher und kultureller Eigenschaften, an denen sich ein Land oder eine Nation orientieren soll
Definition im WERTELAND
Leitkultur: Proklamierte kulturelle Aspekte – wie Weltanschauung, Werte, Rituale, Leitlinien, und Regeln – die innerhalb einer Wertegemeinschaft im täglichen Miteinander gepflegt, motiviert und bewahrt werden.
Beschreibung
Der Begriff Leitkultur wird vorwiegend im politischen und/oder religiösen Kontext verwendet und bezieht sich insbesondere auf die Herausforderung bei der Integration von Einwanderern und Flüchtlingen in Europa und Deutschland.
Gefordert wird – insbesondere von christlichen und nationalistischen Parteien – eine Leitkultur, die traditionelle Werte von alten subkulturellen Wertegemeinschaften (z.B. Deutschland, Österreich, etc.) und Europa (Kultur) schützen und gleichzeitig auf die Immigranten übertragen bzw. vermitteln sollen.
Der Begriff Leitkultur wird auch in der englischen Sprache verwendet. So finden wir eine Definition in der englischsprachigen Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Leitkultur
Leitkultur-Debatte
Das Wort Leitkultur – insbesondere die sogenannten „Deutsche Leitkultur“ – wird in der Politik, den öffentlich rechtlichen Medien und teilweise auch in der Bevölkerung heftig und kontrovers diskutiert. Wegen rassistischer Anmutung wird der Begriff neuerdings zwar oft vermieden, aber in seinem Sinnzusammenhang weiter verwendet.
Der Konflikt in der Debatte besteht aus den verschiedenen Auffassungen, auf welche Weise die Begrifflichkeiten Kultur und Werte (Wertegemeinschaft) mit dem System Recht und Rechtsstaat zu definieren, gewichten und einzuordnen sind.
Die „Deutsche Leitkultur“ ist von der Pons-Redaktion zum „Unwort des Jahres 2000“ bestimmt worden. (Quelle: Tagesspiegel.de 15.11.2000)
2006 veröffentlichte der bekannte Schriftsteller Peter Prange ein Buch über die Europäischen Werte. 2016 wurde es scheinbar aus aktuellen Anlässen im Verlag FISCHER Taschenbuch neu herausgegeben: „Werte: Von Plato bis Pop – Alles, was uns verbindet“. Hierin verwendete er auch den Begriff der Europäischen Leitkultur (Seite 18):
[…] Dieser Kultur können wir vielleicht nur treu bleiben, indem wir gelegentlich über ihren Schatten springen. Ja, wir bekennen uns zum Menschenrecht auf Freiheit – aber müssen wir darum wild gewordenen Cowboys die Steigbügel halten, wenn sie zu transatlantischen Kreuzzügen in den Orient aufbrechen, anstatt auf die Überzeugungskraft des Wortes zu setzen? Ja, wir bekennen uns zu Toleranz – aber dürfen wir darum Intoleranz tolerieren, wenn Vertreter anderer Kulturen sie in unsere Kultur hineintragen wollen? Ja, wir bekennen uns zum Reichtum spiritueller Erfahrungen – aber müssen wir darum jeden esoterischen Unsinn mitmachen, der irgendwo auf Gottes weiter Welt gepredigt wird?
Darum raus aus der Uneigentlichkeit! Haben wir den Mut, uns zu unseren eigenen Werten zu bekennen! Nicht, um eine europäische Leitkultur zu etablieren, sondern um unsere eigene Kultur im Zeichen der Globalisierung einem globalen Wettbewerb auszusetzen: einem Wettbewerb von Ideen und Lebensformen, der den Vergleich mit anderen Kulturen nicht scheut, sondern fördert, einem Wettbewerb, der Vielfalt und Identität gleichermaßen ermöglicht und erlaubt.
>Um die Wette leben<, so lautet die Empfehlung eines berühmten europäischen Dichters an die Kulturen dieser Welt. […]
Zitate
Einleitung eines Artikels des Goethe-Institut e.V. (Februar 2011)
„Die Deutschen könnten auf langjährige Erfahrungen mit Integration zurückblicken. Doch sie haben kein Gedächtnis dafür. Auch deshalb orientiert sich die deutsche Integrations- und Einwanderungspolitik stärker an Angst und innerer Sicherheit als an Toleranz und Respekt.
Prof. Dr. Heribert Prantl (30.07.1953), deutscher Jurist, Journalist und Autor. Er leitet das Ressort für Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung in München und ist seit Januar 2011 Mitglied der Chefredaktion.
Es gab eine Zeit, da waren die Deutschen die Türken der USA. Das ist gut 150 Jahre her. New York war damals nach Berlin und Wien die Stadt mit den meisten deutschsprachigen Menschen. Sie bleiben am liebsten unter sich. Die Deutschen taten sich schwer mit der Integration. Sie blieben unter sich, sie bauten ihre eigenen Kirchen, sie hatten ihre eigenen Pfarrer, sie kauften in deutschen Geschäften, sie lebten in deutschen Vereinen, sie gingen in deutsche Theater, trugen deutsche Trachten, kochten deutsches Essen, tranken gern Bier und setzten sich gern in den Biergarten, zumal am Sonntag. […]“
„Brauchen wir eine Leitkultur?“
Prof. Dr. Norbert Lammert auf der Veranstaltung „Klassik Stiftung Weimar“ am 5. Juni 2016; Thesen zu einer notwendigen Debatte und einem schwierigen Begriff (Veröffentlicht am 24. Juni 2016):
„Jede aufgeklärte Kultur wird sich selbst nicht für die einzige, einzig mögliche, allen anderen überlegene halten. Leitkultur beansprucht nicht, überall in der Welt für alle zu gelten, sondern nur, aber natürlich für die jeweils eigene Gesellschaft und ihre Mitglieder. Jede Kultur, die sich selbst ernst nimmt, ist insoweit eine Leitkultur.“
Norbert Lammert (geb. 16.11.1948); deutscher Politiker (CDU). Von 2005–2017 Präsident des Deutschen Bundestages
In den Medien
Thomas de Maizière: Thesen zur deutschen Leitkultur – „Wir sind nicht Burka“
Am 30.04.2017 veröffentlicht vom YouTube-Kanal „WELT“
„Ein aufgeklärter Patriot liebt sein Land und hasst nicht andere.“ – Der Bundesinnenminister hat einen Zehn-Punkte-Katalog für seine Interpretation von deutscher Leitkultur vorgelegt.
„Stoiber spricht Klartext zur Leitkultur“
Anmerkung: Der Begriff „Klartext“ im Titel des Beitrages ist offensichtlich populistischer Natur.
Am 18.02.2015 veröffentlicht vom YouTube-Kanal „CSUtv“
Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber forderte die in Deutschland lebenden Muslime auf, sich an die deutsche Rechtsordnung zu halten: „Hier gilt nur das Gesetz in Deutschland – und nicht die Scharia. Hier gibt es kein Kalifat. Hier gibt es keine Peitschenhiebe für Blogger.“
ZDF-Sendung „Die Anstalt“: „Deutsche Leitkultur“ (2016)
Am 27.04.2016 veröffentlicht vom YouTube-Kanal „Jake Bluesstedt“
Auszug aus einer YouTube-Playlist mit dem Thema „Leitkultur“; Ausschnitt der o. a. Sendung,
Satire: Der YouTuber Firas erklärt: „Leitkultur – Was ist das?“
Am 19.01.2017 veröffentlicht vom YouTube-Kanal „Zukar“
[…] es geht um Leitkultur. Firas fragt sich: Was ist das eigentlich? Wer bestimmt, was Leitkultur ist? Für wen gilt Leitkultur? Macht Leitkultur Sinn oder kann die weg? Bei der Antwortfindung stehen ihm Angela Merkel, Bibis Beauty Palace, Heidi Klum, Helmut Karassek, Edmund Stoiber, Andreas Scheuer und Star-Gast Barbie zur Seite.
Letzte Bearbeitung am 22.10.2021