Definition
Eine selbsternannt eigenständige Glaubensgemeinschaft, die von einer größeren Religionsgemeinschaft (meist Kirche oder Amtskirche) abgelöst bzw. abgespalten wurde.
Der Begriff „Sekte“ ist somit ursprünglich wertneutral, da er aus heutiger Sicht einer reformistischen oder transformierenden Gesinnung zugeordnet werden kann. Er wird heute dennoch in fast allen Fällen abwertend verstanden.
Historisch betrachtet sind die beiden größten, bekannten Sekten:
- die „Katholische Kirche“ (Abspaltung vom Judentum)
- die „Evangelische (protestantische) Kirche“ (Abspaltung von der katholischen Kirche)
Wortherkunft
Der Begriff „Sekte“ geht zurück auf das lateinische Wort „secta“, was ursprünglich „Richtung, Schule, Lehre“ bedeutete und im Sinne von „befolgte Grundsätze, Denkweise, Richtlinie, Partei, philosophische Schule“ verwendet wurde. Es leitet sich wiederum vom Verb „sequi“ ab – „folgen“ –, im Sinne von „einer Lehre oder einem Führer folgen“. In der Antike hatte der Begriff keinen negativen Beiklang und wurde neutral für unterschiedliche philosophische oder religiöse Strömungen verwendet.
Erst im späteren kirchlichen Sprachgebrauch, insbesondere ab dem Mittelalter, erhielt „Sekte“ eine abwertende Bedeutung – als Bezeichnung für Gruppen, die von der als „rechtgläubig“ geltenden Lehre abweichen. In dieser Verwendung schwang der Vorwurf der Irrlehre mit, was die bis heute vorherrschende negative Konnotation des Begriffs prägte.
Werteorientierte Betrachtung
Im Kontext der Wertearbeit ist es entscheidend, die Dynamiken innerhalb von Sekten differenziert zu betrachten. Während der Begriff historisch wertneutral war, ist er heute meist negativ konnotiert. Sekten können sowohl destruktive als auch konstruktive Elemente enthalten, abhängig von ihrer Ausrichtung und Praxis.
Destruktive Merkmale
Sekten mit destruktiven Tendenzen zeichnen sich häufig durch folgende Eigenschaften aus:
- Dogmatische Weltanschauung: Eine starre Ideologie, die keinen Raum für kritisches Denken lässt.
- Autoritäre Führung: Eine zentrale Figur oder ein Führungsgremium, das uneingeschränkte Autorität beansprucht.
- Isolation: Abschottung der Mitglieder von der Außenwelt, um Kontrolle zu gewährleisten.
- Manipulative Techniken: Einsatz von psychologischen Methoden zur Kontrolle und Beeinflussung der Mitglieder.
Solche Strukturen können die individuelle Selbststeuerungskompetenz untergraben und die persönliche Entwicklung hemmen.
Konstruktive Aspekte
Nicht alle Sekten sind per se negativ. Einige Gemeinschaften, die als Sekten bezeichnet werden, fördern:
- Gemeinschaftssinn: Ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und gegenseitige Unterstützung.
- Spirituelle Entwicklung: Möglichkeiten zur persönlichen und spirituellen Entfaltung.
- Alternative Lebensmodelle: Experimentieren mit neuen Formen des Zusammenlebens und der Werteorientierung.
In solchen Fällen kann die Zugehörigkeit zu einer Sekte für Einzelne eine bereichernde Erfahrung sein, solange sie auf Freiwilligkeit und Offenheit basiert.
Wertearbeit und Sekten
Die Auseinandersetzung mit Sekten im Rahmen der Wertearbeit erfordert Sensibilität und Differenzierungsvermögen. Wichtige Fragen dabei sind:
- Welche Werte werden innerhalb der Gemeinschaft gelebt und vermittelt?
- Wie wird mit abweichenden Meinungen und Kritik umgegangen?
- Inwieweit wird die Autonomie des Einzelnen respektiert?
Die Beantwortung dieser Fragen kann helfen, die Qualität und Integrität der Gemeinschaft zu beurteilen.
Der Begriff „Sekte“ ist vielschichtig und sollte nicht vorschnell bewertet werden. Eine differenzierte Betrachtung unter Einbeziehung von Werteaspekten ermöglicht ein tieferes Verständnis und eine fundierte Einschätzung solcher Gemeinschaften.
Sekten, die aus dem Buddhismus, Christentum und Islam entstanden sind
Aus dem Buddhismus hervorgegangene Hauptrichtungen und Sekten
Der ursprüngliche Buddhismus (etwa 5. Jh. v. Chr.) spaltete sich im Laufe der Zeit in zahlreiche Richtungen, u. a.:
Hauptströmungen:
- Theravāda (auch „Lehre der Älteren“) – vor allem in Sri Lanka, Thailand, Myanmar, Laos, Kambodscha
- Mahāyāna („großes Fahrzeug“) – weit verbreitet in China, Korea, Vietnam
- Vajrayāna (auch „Diamantfahrzeug“) – besonders in Tibet, Bhutan und der Mongolei
Historische Sektenbildungen:
- Bereits wenige Jahrhunderte nach Buddhas Tod existierten laut Überlieferung mehr als 18 frühe Schulen oder Sekten (z. B. Sarvāstivāda, Dharmaguptaka, Mahāsāṃghika)
- Innerhalb des Mahāyāna und Vajrayāna bildeten sich zahlreiche weitere Linien, z. B.:
- Zen (Japan, China als Chan)
- Reines-Land-Buddhismus
- Tendai, Nichiren, Shingon, Soka Gakkai u. a.
- Moderne Entwicklungen wie der Engaged Buddhism oder westlich geprägte Gruppen mit esoterischem Einschlag könnten ebenfalls als „neue Sekten“ gelten.
Schätzung: Über 100 bis 300 eigenständige buddhistische Gruppen oder Sekten weltweit, je nach Definition.
Aus dem Christentum hervorgegangene Hauptrichtungen und Sekten
Auch das Christentum (ab 1. Jh. n. Chr.) erlebte vielfältige Spaltungen und Neugründungen:
Hauptkonfessionen:
- Römisch-katholisch
- Orthodoxe Kirchen (griechisch-, russisch- etc.)
- Protestantismus (seit 16. Jh.) – mit unzähligen Untergruppierungen
Innerhalb des Protestantismus:
- Lutheraner, Reformierte, Anglikaner, Baptisten, Methodisten, Pfingstkirchen etc.
- Freikirchen und charismatische Bewegungen
- Evangelikale Strömungen weltweit
- Restorationistische Gruppen wie:
- Jehovas Zeugen
- Mormonen (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage)
- Adventisten, Christadelphians etc.
Laut Schätzungen der Weltchristenheit gibt es heute über 45.000 verschiedene christliche Denominationen weltweit – viele davon sind eigenständige Gruppen mit sektenähnlichen Strukturen oder wurden als Sekten eingestuft (je nach Quelle und Bewertung).
Aus dem Islam hervorgegangene Hauptrichtungen und Sekten
Der Islam, gegründet im 7. Jahrhundert n. Chr. durch den Propheten Mohammed, entwickelte sich nach dessen Tod rasch in verschiedene theologische und politische Richtungen. Die Ursachen für diese Spaltungen lagen u. a. in der Frage der legitimen Nachfolge, aber auch in unterschiedlichen Auslegungen der religiösen Quellen.
Hauptströmungen:
- Sunnitentum – ca. 85–90 % der Muslime weltweit
- Schiitentum – ca. 10–15 %, mit eigenen Unterrichtungen
- Charidschiten – historisch bedeutend, heute nur noch kleine Gruppen (z. B. Ibaditen in Oman)
Wichtige schiitische Gruppen:
- Zwölfer-Schiiten (z. B. im Iran, Irak, Libanon)
- Ismailiten (v. a. in Südasien und Afrika)
- Alawiten (besonders in Syrien und der Türkei)
- Drusen (eine eigenständige synkretistische Glaubensrichtung mit islamischen Wurzeln)
Innerhalb des Sunnitentums:
- Vier Rechtsschulen (madhāhib): Ḥanafī, Mālikī, Shāfiʿī, Ḥanbalī
- Sufismus (Tasawwuf) – mystische Strömung mit vielen Orden (z. B. Naqschbandiyya, Qādiriyya)
- Salafismus – fundamentalistische Auslegung mit Sektenpotenzial
- Wahhabismus – besonders einflussreich in Saudi-Arabien, oft als ultrakonservativ kritisiert
Neuere oder umstrittene Gruppen:
- Ahmadiyya Muslim Jamaat – in vielen islamischen Ländern als häretisch angesehen
- Nation of Islam – afroamerikanische Bewegung in den USA mit eigenem Glaubensverständnis
- Aleviten – in der Türkei und dem Balkan verbreitet; eigene Rituale, teilweise synkretisch
- Baha’i – ursprünglich islamisch geprägt, heute eigenständige Weltreligion
Viele dieser Gruppen werden innerhalb der islamischen Welt selbst als „sektiererisch“ oder abspaltend bezeichnet – je nach theologischer Auslegung und Machtkontext.
Schätzung: Weltweit gibt es mehrere hundert eigenständige islamische Gruppen, Sekten und Strömungen, wobei die Grenzen zwischen Schule, Richtung und Sekte fließend sind.
Neue Religionen – keine Sekten, aber oft so bezeichnet
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden viele neue religiöse Bewegungen (NRB) oder junge Weltanschauungsgemeinschaften fälschlich als „Sekte“ bezeichnet – teils aus Unkenntnis, teils aus Ablehnung. Tatsächlich handelt es sich jedoch in vielen Fällen um eigenständige Religionssysteme mit umfassender Lehre, Ethik und Praxis. Die pauschale Einordnung als „Sekte“ ist hier nicht sachgerecht und oft diskriminierend.
Beispiele für neue Religionen, die keine Sekten im engeren Sinne sind:
- Bahá’í-Religion
Entstand im 19. Jh. aus einem schiitischen Kontext, versteht sich aber als eigenständige Weltreligion mit universalem Anspruch auf Einheit von Menschheit und Religion.
Status: international anerkannt, weltweit verbreitet, mit globaler Ethik. - Unitarismus / Unitarische Universalisten
Liberale Glaubensgemeinschaft mit Wurzeln im Christentum, betont Freiheit des Denkens und individuelle Spiritualität.
Status: kein Dogma, keine Missionierung, demokratisch organisiert. - Scientology
Von L. Ron Hubbard im 20. Jahrhundert begründet, mit spirituellen und psychotechnologischen Praktiken.
Status: juristisch in manchen Ländern als Religion anerkannt (z. B. USA), in anderen als wirtschaftlich oder gefährlich eingestuft (z. B. Deutschland). - Rastafari
Entstanden in Jamaika als religiös-politische Bewegung mit biblischen, afrikanischen und esoterischen Einflüssen.
Status: spirituelle Weltanschauung mit kultureller und ethischer Dimension, kein geschlossenes System. - Falun Gong / Falun Dafa
Spirituelle Praxis aus China mit Elementen aus Buddhismus und Qigong.
Status: stark unterdrückt in China, international als meditative Bewegung geschätzt – häufig fälschlich als „Sekte“ bezeichnet. - Caodaismus
Synkretistische Religion aus Vietnam mit Elementen aus Buddhismus, Christentum, Konfuzianismus und Spiritismus.
Status: staatlich anerkannt in Vietnam, eigene heilige Schrift, Rituale und Ethik.
Wertebasierte Bewertung
Solche Bewegungen verfügen meist über eigene spirituelle Konzepte, ethische Lehren, heilige Texte und oft soziales Engagement unterscheiden sich klar von sektenhaften Strukturen (z. B. durch Offenheit, Pluralismus, Freiwilligkeit) und werden aber oft aus politischer oder kultureller Fremdheit heraus als „Sekte“ stigmatisiert.
Die pauschale Bewertung neuer Religionen als Sekten wird der pluralen Welt religiöser Ausdrucksformen nicht gerecht. Eine werteorientierte Differenzierung fragt nicht: „Ist das eine Sekte?“, sondern: „Welche Werte vertritt diese Gemeinschaft – und wie werden sie gelebt?“
Letzte Bearbeitung am 25.04.2025
Autor: Frank H. Sauer